07
Mai

Den Onlinehandel mit Lebensmittel gibt es nicht erst seit heute, der Online-Handel mit frischen Lebensmittel ist hingegen noch sehr jung. Edeka, Kaufland, Rewe und Spar sind bereits aktiv im Online Lebensmittelhandel in DE und AT, der derzeit nur 1 % des Branchenumsatzes von 170 Milliarden Euro pro Jahr (nur Deutschland) ausmacht. Klassische Discounter wie Aldi und Lidl halten sich bislang zurück. Dann gibt es noch Anbieter die nur Online Handel anbieten wie „Allyouneedisfresh“ von der DHL und nun auch Amazon.

 

Schätzungen zufolge könnte der stationäre Lebensmittel-Einzelhandel mittelfristig jährlich 6 bis 8 Mrd. Euro Umsatz an den Online-Handel verlieren. Der Neueinsteiger Amazon könnte dabei mit Fresh einen hohen Anteil an den Online-Umsätzen erzielen. Eine potentielle Bedrohung vor allem für die Vollsortimenter: etwa 15 Prozent ihrer Filialen könnten Verluste machen und bis zu 40.000 Arbeitsplätze könnten sich in den Onlinebereich verschieben, so Prognosen von Marktbeobachtern.

 

Und hier sind wir schon beim Thema. Es kann in Prinzip nur zwei konsequente Strategien geben. Entweder verzichtet man auf „Online-Handel“ wie das derzeit noch der Discounter Aldi macht. Denn die Entwicklung einer Online-Handelsplattform widerspricht in gewissen Punkten dem Discounter Prinzip. Die Entwicklung einer Plattform, ansprechender und komfortabler Apps bis hin zum Bezahlsystem und einer ausgefeilten Versandlogistik  ist eben eine hohe Investition und was ganz anderes als aus dem Karton heraus zu verkaufen. Die Produkte mögen identisch sein, die Serviceketten dahinter sind völlig anders. Und offensichtlich geht Aldi davon aus das die Zielgruppe „Online-Kunden“ eher weniger zur Zielgruppe des Discounters zählt.

 

Auf was kommt es nun im Online Lebensmitteleinzelhandel an? Wer glaubt der Newcomer Amazon Fresh müsste sich im Online Lebensmitteleinzelhandel erst mal hinten anstellen und eine lange Lernkurve durchlaufen irrt gewaltig. Amazon hat die Nase ganz weit vorne was das Frontend zum Kunden, also die Internetplattform amazon.com anbelangt. Die Amazon App glänzt mit leichter Bedienbarkeit, übersichtlicher Struktur, Einkaufslisten, ausgereifte Bezahlsysteme und vieles mehr. Da hat Amazon einen technischen Vorsprung der Jahre ausmacht. Und was noch wichtiger ist:  Amazon hat bereits Millionen an Online Kunden die andere erstmal gewinnen müssen.

 

Und schon heute kann man mit der Amazon App so vieles kaufen, jetzt eben auch frische Lebensmittel. Amazon hat einen jahrelangen know how Vorsprung was die Online Kommunikation zum Kunden anbelangt. Dazu gehören auch ausgefeilte Data Mining Methoden mit denen man geschickt den Kunden immer wieder weitere passende Produkte anbieten kann und hat eben eine Millionen-Kundschaft die nicht anonym ist sondern deren Konsummuster bestens bekannt ist und für gezielte Kampagnen genutzt werden können.

 

Mit Versandlogistik und Service hat Amazon ebenfalls sehr große Erfahrung und die Kunden wissen das zu schätzen. Dabei bedient man sich nicht nur starker internationaler Partner wie DHL sondern setzt vermehrt auch auf eigene Lieferdienste, wie z.B. Kuriere in den Städten. Selbst der Einsatz von Drohnen ist schon über die Versuchsstation hinaus. Amazon wird das Versandgeschäft auf Dauer nicht alleine Partner wie DHL & Co überlassen.

 

Auch im Lebensmitteleinzelhandel hat Amazon bereits Erfahrung gesammelt in den USA und GB. In Deutschland bietet man zunächst den neuen Dienst in Berlin und Potsdam an mit ca. 85.000 Artikel an. Der Wettbewerb ist auch an den Start gegangen, Spar z.B. bietet nun einen Online Dienst für Wien aber auch für Salzburg und Salzburg Land an. Die Expansion solcher Online Service auf sämtliche Großstädte in Deutschland und Österreich ist nur eine Frage der Zeit.

 

Der im Präsenz Handel unbekannte Amazon Konzern hat mit Firmen wie Tegut (gehört zum internationalen Migros Konzern) nun einen deutschen Partner mit Erfahrung im Lebensmittelhandel an seiner Seite. Das besondere an Tegut ist, dass diese Firma schon immer den besonderen Mix mit vielen Bio-Lebensmittel, deren Standard weit über das EU Bio Label hinausgeht (Marken wie Demeter, Bioland, Dennre) und andererseits konventionellen Lebensmitteln hat. Ein Produktsortiment das vermutlich für viele Online-Kunden die Wert auf gute Produkte legen, interessant ist. Tegut vertreibt nun online über Amazon. Zumindest mittelfristig eine Win-Win Situation für Beide. Neue Partnerschaften sind im Online Handel unerlässlich.

 

Wer nun einwendet das Wachstumspotential des Lebensmittel Einzelhandel im Internet würde überschätzt irrt. Es ist für viele Menschen nun mal bequem sich die Ware liefern zu lassen anstatt nach Dienstschluss noch Zeit für Einkaufen zu verwenden. Man kann sich die Ware wie andere Ware auch bequem nach Hause oder ins Büro liefern lassen. Auch für Frischware gibt es bereits ausgefeilte Systeme damit die Kühlkette nicht unterbrochen wird.

 

Viele Online Kunden haben oft mehr Geld als Zeit und neigen eher zu hochwertigen Produkten. Also eine Zielgruppe mit hoher Rohgewinn-Marge. Ein Verlust dieser Gruppe würde jedem Wettbewerber wehtun. Und erste Umfragen haben ergeben dass sich 60 % der Befragten durchaus vorstellen können online Lebensmittel zu kaufen.

 

Manche mögen nun gegen Online Kaufen einwenden sie möchten die Ware lieber sehen bevor sie sie kaufen. Aber habe ich beim stationären Einkauf wirklich den Überblick, weiß ich wirklich was ich einkaufe, welche Produkte wirklich „ökö“ sind, „fair“, „nachhaltig“ oder gar aus der Region? Und aktuell im Angebot? Wohl kaum. Dafür gibt es viel zu viele verwirrende und irreführende Label auf den Produkten.

 

Im Online Handel kann ich hier über die App kinderleicht Filter einstellen, wie z.B. das ich nur Produkte möchte die bestimmte Kriterien erfüllen. Und dann noch Artikel mit dem günstigsten Preis nach oben. Es wird also eher umgekehrt sein, Einkauf via App wird mehr Transparenz bringen als der stationäre Einkauf. Vorausgesetzt die App Anbieter vergessen genau diese Themen nicht, kooperieren mit Verbraucherverbänden u.a. Transparenz kann zu einen riesigen Wettbewerbsvorteil werden. Die angebotenen Apps haben hier aber noch enormes Entwicklungspotential.

 

Die Struktur solcher Apps muss konsequent aus Kundensicht aufgebaut werden, damit Sie hohe Akzeptanz finden. Da könnte ich Dutzende von Beispielen nennen. Themenorientiere Angebotspakete („vegan frühstücken“, „lecker grillen“, „Diät ohne Hungern“). Leichtes Erstellen von virtuellen Einkaufslisten, Produktsuche via Mikrofon und Scan statt Tippen. Data Mining Algorithmen gekoppelt mit präferenzorientierten Preisaktionen via Mitteilungen auf der App. Das wichtigste: Die IT realisiert technisch solche Apps, es sind aber Kunden und Marketingspezialisten die die Inhalte und das Design der Apps treiben.  Bei mancher App hat man den Eindruck dass es genau umgekehrt ist.

 

Man wird keinen großen Erfolg im Onlinehandel haben, wenn nicht alles in der Servicekette „state-of-the-art“ ist. Beginnend mit der ersten Schnittstelle, der App, dem Bezahlsystem, der Transparenz bis hin zur perfekten Versandlogistik. Eine enorme Herausforderung. Nur diejenigen Anbieter, die den Online Handel langfristig, konsequent und mit hohem Einsatz verfolgen, werden Erfolg auf dem Online Markt haben. Den Benchmark wird wohl Amazon setzen aufgrund seiner Erfahrung im Online-Handel. Aber es ist durchaus möglich gegen Amazon erfolgreich zu bestehen.

 

  1. Die Internet-Plattform – der Kanal zum Kunden: Die Amazon App ist zwar gut aber nicht optimiert für den Lebensmittel Einkauf. Ein solcher Einkauf von vielleicht 20 Artikeln sollte via App in 3-5 Minuten abgeschlossen sein. Das ist derzeit mit keiner App und keinen Internet Portal möglich. Einfach noch zu umständlich die Bedienung der Apps. Hier liegt die erste Chance.
  2. Weitergabe Servicekosten. Die zusätzliche Internettechnologie und Versandlogistik verursachen zusätzliche Kosten. Amazon versucht diese Kosten weiterzugegeben in Form einer jährlichen Pauschale für Prime Lieferdienst (69 €/Jahr), einer monatlichen Pauschale für Fresh (9,90 €/Monat) und einer weiteren Liefer-Pauschale wenn der Mindestbestellwert von 40 € nicht erreicht wird. Es ist nicht sicher wie viele der potentiellen Kunden das akzeptieren werden, zumal ja auch Kosten für den Präsenzhandel bei Amazon nicht anfallen. Spar Österreich z.B. verlangt derzeit 4,90 € Service –und Lieferkosten pro Lieferung bei einem Mindestbestellwert von 25 € ins Salzburger Land. Ab 100 € Bestellwert fallen gar keine zusätzlichen Kosten an. Ein deutliches Plus für Spar.
  3. Veränderung der Kostenstruktur optimieren. Wer neben Präsenzhandel zusätzlich in die Kosten des Online Handel einsteigt wird regelmäßig überprüfen müssen wo er noch gewinnbringend in der Fläche mit Präsenz anbieten kann. Der Online Handel benötigt eine andere logistische Struktur als der stationäre Handel. Die Logistik von Online und Präsenz kostenoptimiert umzubauen wird eine weitere Herausforderung sein, aber auch Chance für jedem Wettbewerber. Dabei braucht es auch neue Kooperationspartner sowohl im Marketing, der IT als auch in der Versandlogistik inklusiver neuer Verteilzentren die kostenoptimiert alle Vertriebskanäle bedienen können. Warum z.B. auf dem Land sich nicht Zustell-Partner wie Bofrost oder anderer bedienen, die z.B. in Österreich jedes Haus anfahren? Warum nicht ambulante Pflegedienste mit einbinden, die morgen die Pakete für die Kunden abholen? Eine Win-Win Situation für Händler, Pflegedienst und Kunde. „Make or Buy“ wird auch hier eine wichtige Frage werden. Und manchmal kann die Antwort auch „Make and Buy“ lauten, je nach Gebiet.
  4. Online und Präsenz optimal verzahnen. Die vierte große Herausforderung ist Online und Präsenz zu verzahnen. Spar Österreich z.B. hat eine solch große Präsenzdichte in Österreich, dass jede Fiale natürlich auch zusätzlich als Abholstation und mehr dienen kann. Viele Fialen auf dem Land bieten oft nur ein beschränktes Produktsortiment an. Über den Online Handel hat der Kunde eine größere Auswahl an Produkten und kann sich dann sein Paket in der gewünschten Fiale abholen oder eben liefern lassen inklusiver Produkte die eine kleine Fiale nicht anbietet. So können auch stationärer und Online Handel zusätzliche Benefits liefern die eine Vertriebsform alleine nicht kann.
  5. Erweiterung des Warensortiments mit Partnern. Und wenn man schon Online Handel macht dann muss sich der Anbieter fragen lassen, warum er seine ausgefeilte und kostenintensive Internet- und Logistikstruktur nur für das bisherige Warensortiment anbietet? Warum nicht auch im Warensortiment expandieren und mit anderen kooperieren und die Fialen als Abholstation nutzen? Das bietet die Chance die Fixkosten des Online Handels über eine größere Warenmenge zu verteilen.

Die Chance liegt also im Ausbau und in der Vernetzung der gesamten Servicekette. Interessant dabei ist auch zu sehen, was zum Beispiel in England Ocado Amazon entgegensetzt mit neuen Service und einer anspruchsvollen Logistikkette. Die nächsten Jahre werden sehr viel Bewegung in den Markt bringen. Wer glaubt schon gut genug aufgestellt zu sein und abwartet wird dabei verlieren. Soviel ist sicher.

 

Ihr Klaus-Jürgen Braun

 

 

 

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